Ein Lauf über das halbe Feld. Vorbei an unzähligen Gegenspielern. Jemand greift nach der Schulter, der andere nach der Hüfte, ein Dritter nach dem Arm. Doch er läuft einfach weiter. Nicht ganz bis in die Endzone. Gegenspieler 10 und 11 waren dann doch zu viel. Aber als Jeremy Dixon gut 15 Yards vor dem Ziel ins Seitenaus befördert wird, da kann er einem fast schon leidtun. Die Zuschauer spenden spontan und laut Applaus, der Stadionsprecher lobt. Und all das, obwohl Dixon kein grünes, sondern ein gelbes Trikot trägt. Wenn die Frankfurt Pirates in der Stadt sind, dann kannst du dir in der Regel eines gewiss sein: Die Imports, die da für die Hessen auflaufen, sind zumeist alleine ihr Eintrittsgeld wert. Dass das in einem Mannschaftssport nicht reicht, um am Ende das Feld als Sieger zu verlassen, ist gut so. Das Kollektiv Fighting Farmers Montabaur hat als Team – mit ebenfalls herausragenden Einzelleistungen – das letzte Heimspiel der Saison gegen Frankfurt mit 40:24 (27:16) gewonnen. Macht in der Summe Tabellenplatz drei am Ende einer starken Saison in der Regionalliga, die Hessen steigen hingegen in die Oberliga ab. Fazit: Das war bestes Entertainment. Full HD TV quasi. Nur ohne TV.
Ein Kader, so klein, dass du Angst haben musstest, sie schaffen es nicht einmal auf die notwendige Spielstärke. Heimspiele am Ende einer Saison gegen die Pirates sind immer auch Gratwanderungen. Von Ausfällen geplagt, obendrein höchst abstiegsgefährdet, hatten sich die Frankfurter auf den Weg in den Westerwald gemacht. Den ersten Applaus des Tages gab es deshalb von den zahlreichen Zuschauern schon für die simple Tatsache, dass die Hessen da waren und obendrein ausreichend Verletzte mitgebracht hatten, die sich für den Pass-Check umgezogen hatten. Kaum 20 einsatzfähige Spieler. Dazu hochsommerliche Temperaturen. Es sprach nicht viel für eine Überraschung.
Und auch die ersten Spielminuten ließen den Rückschluss zu, dass die Farmers an diesem Tag viel Spaß haben würden. Mit dem ersten Spielzug lief US-Running-Back Zain Gower das Leder über 38 Yards die Endzone der Hessen, Kicker Tino Balle sorgte für den Zusatzpunkt. Der erste Spielzug der Gäste landete als Interception in den Händen von Farmers-Safety Christian Grüner. Und der nächste Angriff der Gastgeber endete mit einem Pass-Touchdown von Mike Gerolstein auf Zuspiel von Quarterback Kevin Brüngel über knapp 30 Yards (Zusatzpunkt Balle). Noch Fragen?
Doch man sollte bei Spielen gegen die Hessen die Rechnung nie ohne die Imports machen. Jeremy Dixon als Quarterback und „Mädchen für alles“ in der Defense. Und Damon Byrd als Receiver und Dixons Stellvertreter als „Mädchen für alles“ in der Defense. Denn so sehr sich die Farmers auch bemühen sollten, sie bekamen weder den laufenden und werfenden Spielmacher Dixon noch den laufenden und fangenden Receiver Byrd komplett ausgeschaltet. Wer beim Touchdown zum 8:20 der Gäste (Pass Dixon auf Byrd, zwei Zusatzpunkte Alexander Schwick) noch an einen Schönheitsfehler glaubte, der wurde im Spielverlauf schnell eines Besseren belehrt. Auch wenn in einem turbulenten ersten Quarter die Farmers das letzte Ausrufezeichen setzten: Die Pirates fielen auf eine vermeintliche Ballübergabe von Brüngel an Matthias Pitsch rein, orientierten sich auf die linke Angriffsseite der Farmers, während Gower mit dem Ball unterm Arm über die rechte Seite das Leder 40 Yards bis in die Endzone trug. 20:8 nach Quarter eins – das lief nach Plan.
In einem sich atmosphärisch durchaus zuspitzenden zweiten Quarter brauchte es schon viel Fingerspitzengefühl der Unparteiischen, um keinen Spieler (vornehmlich der Gäste) vorzeitig zum Duschen zu schicken. Viele Strafen sorgten immer wieder dafür, dass der Spielfluss verloren ging. So wurde etwa ein Interception-Touchdown von Frankfurts Dixon über 50 Yards wegen Strafen zurückgepfiffen. Was zählte war ein Pass-Tochdown von Byrd (zwei Zusatzpunkte Dixon) zum 16:20 aus Gästesicht und ein Lauf-Touchdown von Gower (Zusatzpunkt Balle) zum 27:16-Pausenstand.
„Seid Ihr hier, um Euch mit diesem Mist zu beschäftigen oder um Football zu spielen?“, fragte Pirates-Headcoach Keith Williams seine Mannen in der Pause. Und für einen Moment waren die gelb-schwarzen mal ganz ruhig. Nur mit einem Sieg konnten die Hessen sich die Chance auf den Klassenverbleib wahren. Es schien, als kehrte das Wissen über die Konstellation gerade in die Köpfe der Piraten zurück.
Doch außer einer nach wie vor beeindruckenden Dixon-Show hatten die Frankfurter auch in Hälfte zwei nicht mehr viel zu bieten. In der Offensive war die Taktik einfach: Maximaler Schutz für den Quarterback mit in der Regel sieben Spielern auf der Line. Dazu ein Running Back neben Dixon als persönlicher Bodyguard. Draußen auf dem Feld liefen sich die beiden Receiver Byrd und Schwick die Hacken wund und brachten auch die Side Judges, die auf Höhe der Receiver sein müssen, an ihre konditionellen Grenzen. Es gab nur Dixon oder den Pass. Im gesamten Spiel gab es keinen einzigen Laufspielzug.
Zu einem weiteren Touchdown sollte es dennoch reichen: Dixon lief über 40 Yard selbst in die Endzone und „übergab“ den Ball auch bei der anschließenden „Two-Point-Conversion“ erfolgreich an sich selbst, um ihn dann ins Ziel zu tragen. Davor und danach sorgten Gower (sein vierter Touchdown) mit einem kurzen Lauf und Gerolstein (sein zweiter Touchdown) nach einem langen Pass bei einem ausgespielten vierten Versuch über 35 Yards für den 40:24-Endstand. Die Farmers sicherten sich damit Rang drei, Frankfurt steigt ab – und Dixon lief nach Spielende Gefahr, sich an der Schulter zu verletzten, so oft wurde ihm lobend und anerkennend auf die selbige geklopft.
„Mit der Leistung, die wir trotz des kleinen Kaders gezeigt haben, bin ich sehr zufrieden“, sagte Frankfurts Headcoach Williams. „Wir steigen jetzt zwar ab, aber wir werden direkt wieder aufsteigen“, machte das Pirates-Urgestein Hoffnung, dass man nur in der kommenden Saison auf das Entertainment-Paket der Hessen verzichten muss. „Das war für uns ein sehr wichtiger Sieg“, freute sich Haas. „Wir haben vier Quarter sehr guten Football gespielt. Ich ziehe den Hut vor der Leistung der Gäste mit diesem kleinen Kader. Wir haben gut dagegen gehalten, obwohl auch wir sehr viele Ausfälle zu verkraften hatten. In der Offense waren wir schön variabel. Mich freuen besonders die beiden Touchdowns für Mike Gerolstein, der eine ganz starke Vorbereitung hatte und dann ganz lange mit einer Verletzung kämpfen musste.“