Die Jungs mit den längsten Bärten und den meisten Tattoos vergießen die ersten Tränen. Emotional aufgewühlt stehen sie da, im Regen von Montabaur. Manch einer sinkt zu Boden. Andere springen mit ausgestreckten Armen in die Höhe. Sie blicken ungläubig gen Himmel, schütteln immer wieder den Kopf. Jemand faltet die Hände zum Gebet. Auf den Tribünen 204 Campingstühle, 423 Regenschirme, 1050 Zuschauer – nur die letzte Zahl ist keine Schätzung. Sie alle wussten: Wir können heute gemeinsam Geschichte schreiben. Die Meisterschaft in der Regionalliga gewinnen und damit in die GFL2 aufsteigen. Sie alle wussten: Eigentlich müssten wir einen verdammt schlechten Tag haben, wenn das nicht klappt. Aber zwischen Theorie („Wir können das“) und Praxis („Wir haben es wirklich getan“) lagen an diesem Nachmittag im Mons-Tabor-Stadion vier lange Quarter Football – an deren Ende die Fighting Farmers Montabaur das Heimspiel gegen die Frankfurt Pirates mit 40:8 (6:0, 13:8, 0:0, 21:0) gewinnen. Der Rest sind Tränen, Jubel, Pokalübergabe, Jubel, Fotos, Tränen, Jubel und Regen.
Schon der Start in diesen Football-Nachmittag war eine emotionale Reifeprüfung für eine Mannschaft, in der nur ganz Wenige Erfahrung mitbrachten in Sachen Championship Game. Rund 50 ehemalige Farmers-Spieler hatten sich in ihren Trikots zum Spalier aufgestellt, um das Team beim Einlauf ins Stadion abzuklatschen. „Wahnsinn, es wurden ja immer mehr. Ich habe so viele alte Farmers-Trikots gesehen“, sagte Headcoach Sebastian Haas. „Wir erleben hier ein Vereinsgefühl, dass es nur ganz, ganz selten gibt. Das macht diesen Klub so besonders.“ Die Farmers feiern in diesem Jahr ihr 25-jähriges Jubiläum und werden im September noch zu einem Flagturnier samt Geburtstagsparty einladen.
Sportlich galt es bei den Pirates, die in Abstiegsnöten stecken, vor allem auf das starke US-Duo Andrew Matthews (Quarterback) und Aaron Seward (Receiver) zu achten. Die beiden Offensivakteure hatten in der Vorwoche maßgeblichen Anteil am überraschenden Sieg gegen Mainz. In Montabaur jedoch bekamen sie schon früh den Druck der besten Verteidigung der Liga zu spüren. Die Offense sollte im gesamten Spiel keinen einzigen Punkt erzielen. Im Gegenteil: Nicht selten wurden die Hessen früh gestoppt. Zudem pflückten die Farmers-Akteure Tim Edmonds, Christian Ammann und Sebastian Krause gleich drei Interceptions aus dem verregneten Westerwälder Himmel. Als die Farmers nach Spielende ausgelassen feierten, machten Matthews und Seward beeindruckt und staunend ihre Runde durch die Reihen der Meisterspieler, um dem Gegner Respekt zu zollen und zum Titel zu gratulieren. Eine starke Geste.
Überraschend stark präsentierte sich die Defensive der Frankfurter. Die Touchdownläufen von Matthias Pitsch (3 Yards) im ersten und Zain Gower im zweiten Quarter (3 und 6 Yards) zur zwischenzeitlichen 19:0-Führung (Zusatzpunkt Tino Balle) konnten die Hessen aber nicht verhindern. Vorausgegangen waren starke Aktionen von Quarterback Christian Baader im Zusammenspiel mit seiner gesamten Offense. Die Line verschaffte dem Spielmacher Zeit wenn notwendig, andere Akteure wie Pascal Rogawski, Damon Byrd und Mike Gerolstein erliefen und erfingen wichtige Yards.
Ausgerechnet eine Special-Team-Formation der Hessen konnte in einer durchaus kuriosen Situation kurz vor der Pause verkürzen. Ein Fieldgoal-Versuch der Farmers geriet zu kurz. Einen Schritt vor dem Ende der eigenen Endzone schnappte sich Aaron Seword das Leder und trug es an verblüfften und zu spät reagierenden Farmers vorbei zum Touchdown. Weil der US-Boy auch die Two-Point-Conversion verwandelte, stand es zum Pausentee „nur“ noch 8:19.
Im dritten Quarter hatten die Farmers dann spürbar einen Durchhänger. Die Defense hielt dem Team den Rücken frei, die Offense jedoch war nicht in der Lage, nennenswerten Raumgewinn zu erzielen. Sollten die Gastgeber kurz vor dem Titel noch einmal nervös werden? „Das waren wir, aber auch schon vor dem Spiel“, gestand Spielmacher Baader ein. „Für die meisten von uns war das hier das erste Spiel mit einer solchen Konstellation.“ Die Reaktion auf ein schwaches drittes Quarter war jedoch beeindruckend. „Wir haben uns da selbst wieder rausgekämpft und eine Reaktion gezeigt. So, wie wir es in der ganzen Saison schon gemacht haben. Das war klasse“, freute sich Headcoach Haas.
Matthias Pitsch (2) und Zain Gower (1) trugen das Leder noch drei Mal bis in die Endzone (drei Zusatzpunkte Tino Balle) und machten damit den 40:8-Kantersieg gegen aufopferungsvoll kämpfende Hessen perfekt. Der Rest war Regen, Emotionen, Tränen, Pokal, Selfies, Regen, Bier, Familie, Emotionen und Tränen.
Stimmen zum Spiel
Sebastian Haas, Headcoach: „Die Mannschaft war schon etwas nervös, auch wenn wir versucht haben, die Bedeutung vorher herunterzuspielen. Wir haben immer nur von Spiel zu Spiel geschaut, aber natürlich kannst du nicht aus den Köpfen bekommen, dass es dieses Mal um die Meisterschaft und den Aufstieg geht. Jetzt steigen wir in die GFL2 auf und stellen uns der neuen Aufgabe. Die Jungs haben sich das hart erarbeitet und die Chance einfach verdient. So viele Zuschauer bei diesem Wetter im Stadion zu sehen war unglaublich. Die Stimmung war der Wahnsinn.“
Dirk Duwe, Defense Coordinator: „Wir haben ein sehr gutes und junges Team, das sich in der Saison stark weiterentwickelt hat. Wir hatten viele unerfahrene Spieler in der Mannschaft, die von Beginn an sehr präsent auf dem Platz waren. Ich bin sehr stolz auf diese Mannschaft und bin gespannt, was das nächste Jahr bringt. Ob wir GFL2 können? Warum sollten wir das nicht können! Wir werden ganz sicher nicht um den Aufstieg spielen, aber vielleicht können wir ja das eine oder andere Team ein wenig ärgern.“
Tim Edmonds, Defensive Back: „Es war eine super Entscheidung nach meinem ersten Jahr in diesem Sommer wieder für die Farmers aufzulaufen. Es hat großen Spaß gemacht. Wir haben schon in der vergangenen Saison etwas begonnen, dass wir in diesem Jahr auf ein neues Level gehoben haben. Die harte Arbeit hat sich ausgezahlt. Wir stehen jetzt ganz oben, weil wir eine tolle Philosophie, ein klasse Team und starke Trainer haben.“
Damon Byrd, Receiver: „Mein Gott, es sind so viele Dinge passiert in dieser Saison. Ich hatte schon vom ersten Tag an das Gefühl, dass ich hier in einem besonderen Verein gelandet bin. Ich war mir auch sicher, dass wir etwas Besonders schaffen können. Aber das wir wirklich die Meisterschaft holen und aufsteigen – das ist doch unglaublich. Schau dich um, was hier los ist, wie alle feiern. Ich habe eine neue Familie gefunden. Für mich ist das die erste Meisterschaft, die ich gewinne. Und es ist ein unheimlich emotionaler Moment.“
Christian Baader, Quarterback: „Unbeschreiblich, was wir da geschafft haben. Ich kann das noch gar nicht glauben. Ich habe nicht nur eine Träne vergossen. Hättest du mir vor der Saison gesagt, dass wir in die GFL2 aufsteigen, dann hätte ich dich ausgelacht. Das Kollektiv hat es gerockt. Es geht nur über das Team.“